An diesem Morgen war die Sicht in Sapa etwas besser, doch es regnet immer noch. Nach einem wiederum sehr guten und reichlichem Frühstück kümmerte ich mich erst mal um unsere Räder. Es sollte die reichlich 30 km Straße wieder steil bergab gehen, welche wir uns am 22.10. bergauf gekämpft hatten und danach würde noch ein „langer Kanten“ hügeliges Land kommen, die längste Radetappe der gesamten Reise.
Nachdem ich Tines Bremsen besser eingestellt und einige Schrauben wieder festgezogen hatte, musste ich an meinem Rad einen platten Reifen feststellen. Wegen des starken Regens reparierte ich die Räder gleich in der Hotellobby und ich war selbst verwundert, dass sich niemand darüber beschwerte. Die Menschen in Vietnam bleiben einfach tolerant und freundlich, auch wenn ihnen etwas vielleicht nicht so gefällt.
Kurz nach 9 Uhr starteten wir dann bei Regen und mit etwas flauem Gefühl die Fahrt zurück ins Tal. Die Straße war rutschig und hatte auch einige Schlaglöcher. Wir mussten also hoch konzentriert und mit meist gezogenen Bremsen nicht zu schnell bergab rollen. Nur wenige Kilometer nach Sapa hörte ich hinter mir ein Geräusch, das sich nicht gut anhörte und ich rief Tine zu, dass sie Anhalten solle. Wir schoben den Berg wieder aufwärts und nach der nächsten Kurve sahen wir schon, dass meine Vermutung leider richtig war. Es hatte einen Sturz gegeben und jemand lag auf der Straße. Wie ich später erfuhr, war Bernd mit dem Vorderrad in ein Schlagloch gefahren, hatte instinktiv die Bremsen angezogen und war gestürzt. Er sah verdreckt aus und sein Gesicht wirkte reichlich farblos. Wir mussten ihn und die Räder schnell von der gefährlichen Stelle auf der Straße wegbringen und fanden einen trockenen Platz unter einem Hausdach, wo er sich erst mal von dem Schock erholen konnte. Er hatte Schmerzen am Oberarm und so rief Dominik unseren vietnamesischen Reiseleiter an, der bald mit seinem Klein-LKW bei uns erschien. Wir beschlossen ein wenig gegen den Willen von Bernd, dass er mit dem LKW in ein Krankenhaus zur Untersuchung gefahren werden sollte. Wir rollten nach dieser Aufregung noch ein wenig vorsichtiger weiter talwärts. Glücklicherweise ließ der Regen bald nach und das Wetter wurde immer besser, je weiter wir uns dem Tal näherten.
Auf der weiteren Strecke im Tal kam später die Sonne heraus, welche wir bis dahin noch nicht gesehen hatten. Es wurde tropisch feuchtwarm, doch nach dem bisherigen Wetter empfanden wir das als sehr angenehm. Die Straße schlängelte sich durch eine schöne Landschaft mit vielen kleinen ärmlich erscheinenden Orten, wo uns aber alle Kinder freudig begrüßten, „Hello“ riefen, uns zuwinkten und uns auch zeitweise rennend oder auf einem Fahrrad begleiteten. Im Vergleich zu China gab es generell sehr viel mehr Kinder, welche lebenslustig und munter jede Menge Spaß hatten. Unzählige Menschen Menschen am Straßenrand winkten oder nickten uns zu – wir waren eine willkommene Abwechslung und hatten das Gefühl, hier willkommen zu sein.
Leider gab es auch auf dieser hügeligen und kurvenreichen Straße wieder viele hupende Trucks, auf welche wir achten mussten. Diese Trucks transportieren jegliche Art von Waren zwischen den Industriegebieten und den Häfen im vietnamesischen Flachland und den Bergregionen Vietnams und Chinas hin und her. Neben den Trucks gab es aber nur noch wenige Mopeds und Fahrräder. Die Menschen dort leben zwar mit deutlich niedrigerem Lebensstandard als im nahen China, sind aber freundlicher und machten einen ausgeglichenen und zufriedenen Eindruck auf ihrer Arbeit auf Reisfeldern und Bananenplantagen, in kleinen familiären Handwerksbetrieben oder beim Verkauf ihrer Waren am Straßenrand.
Bei einer Pause teilte uns Dominik mit, dass Bernds Oberarm angebrochen ist und behandelt werden muss. Er hatte eine SMS von Duong bekommen. Das war keine erfreuliche Nachricht und trotzdem waren wir froh, dass dieser Sturz doch einigermaßen glimpflich ausgegangen war. Die Folgen hätten auch wesentlich schlimmer sein können, da Bernd keinen Helm trug…
An diesem Tage etwas drängte ich wegen der sturzbedingten Unterbrechung und der langen Strecke aufs Tempo, fuhr oft vor der Gruppe gegen den Wind und achtete darauf, dass die notwendigen Pausen nicht zu lang wurden. Ich wollte auf jeden Fall erreichen, dass wir noch bei Tageslicht an unserer nächsten Unterkunft ankommen. Das gelang dann auch überpünktlich und manche murrten etwas, weil ich unterwegs Stress gemacht hätte.
Bei Erreichen unserer Unterkunft winkte uns Bernd mit dem noch frei beweglichen Arm entgegen. Er hatte es abgelehnt, im Krankenhaus zu bleiben und sich dort „verarzten“ zu lassen. So hatte er nur eine Art Korsett erhalten, welche den gebrochenen Arm fest am Körper fixieren sollte. Er spielte den Unfall herunter und erzählte uns aus seinem von ähnlichen Vorkommnissen reichlich durchdrungenem Leben. Anscheinend zog er das Unglück irgendwie an, war allerdings auch wenig vorausschauend in seinem Handeln.
Es war vorher bekannt, dass die Unterkunft an der Straße liegen und diesmal nur wenig Komfort bieten würde. Dann war ich aber doch einigermaßen überrascht von der kargen Ausstattung dieser Unterkunft, welche sonst vermutlich vietnamesischen Arbeitern zur Übernachtung dient. Trotzdem konnte ich nach dem alltäglichen Schmutzbier und einem recht schmackhaften Abendbrot in einer kleinen Kneipe am Straßenrand viel besser schlafen als erwartet. Vermutlich war ich nach dieser Tagesetappe einfach müde genug, um vom nächtlichen LKW-Verkehr nichts mitzubekommen.
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